30 Jahre Dayton-Abkommen. Meine Rede.
Hier ist die gesamte Rede zu sehen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister! Herr Botschafter!
Über 100 000 Menschen wurden zwischen 1991 und 1995 im ehemaligen Jugoslawien getötet. Wenn wir heute über den Erfolg des Vertrags von Dayton sprechen, der den Krieg in Bosnien und Herzegowina beendet hat, dann müssen wir auch darüber sprechen, wie es so weit kommen konnte. Denn wir feiern in diesem Jahr nicht nur 30 Jahre Frieden seit dem Dayton-Abkommen. Wir gedenken auch des Völkermords von Srebrenica vor 30 Jahren.
Wenn man dieser Tage in Deutschland immer wieder solche Aussagen hört wie: „Die Welt ist aus den Fugen“ oder etwa, der Krieg Russlands gegen die Ukraine sei der erste Krieg auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg, dann frage ich mich: Wie sehr kann man immer noch die Augen vor dem verschließen, was in den 90er-Jahren im ehemaligen Jugoslawien passiert ist? Und an meine eigene Generation gerichtet: Viele von uns bereisen die ganze Welt, von Südamerika bis Südostasien. Aber kennen wir eigentlich unsere eigenen Nachbarn, unsere europäischen Freunde, den Westbalkan?
So liegen die politischen und strategischen Lehren von Dayton vor uns. Peacekeeping kann dann noch nicht erfolgreich sein, wenn es keinen Frieden zu halten gibt. Führung, hartnäckige Diplomatie und, wenn nötig, militärische Mittel gehen Hand in Hand. Es darf keine Straflosigkeit geben. Deswegen verdient gerade in diesen Zeiten die internationale Strafgerichtsbarkeit weiter unsere Unterstützung.
Einen Krieg zu beenden, bedeutet nicht automatisch, einen nachhaltigen Frieden zu schaffen und einen stabilen Staat zu bauen. Dayton war nicht nur ein Endpunkt für den Krieg, sondern bleibt ja leider immer noch ein Startpunkt für den weiteren Weg. Daran haben wir uns in der vergangenen Woche, Herr Botschafter, gemeinsam erinnert, als wir den Tag der Staatlichkeit Bosnien und Herzegowinas gefeiert haben. Dauerhaften Frieden kann man nicht verschreiben. Stabile staatliche und demokratische Verhältnisse entstehen nicht von selbst. Beides muss von allen vor Ort und vor allem in der Region gewollt sein.
Ich bin dem Bundesminister des Auswärtigen dankbar, dass er aus voller Überzeugung den Berlin-Prozess und die europäische Integration der Staaten des Westbalkans weiter vorantreibt, wie zuletzt auf seiner Reise in die Region, und dass er immer die regionale, ganzheitliche Perspektive im Blick behält. Dabei ist klar:
Erstens. Der gesamte Westbalkan hat eine klare Perspektive für den Beitritt zur Europäischen Union.
Zweitens. Jeder einzelne Beitrittskandidat steht für sich und tritt bei, wenn und sobald er die Kopenhagener Kriterien erfüllt.
Drittens. Der Beitrittsprozess ist nicht nur ein Prozess des Beitritts zur EU, sondern auch der nachhaltigen Verständigung in der Region untereinander.
Viertens. Alle, die ein klares Bekenntnis zum EU-Beitritt abgeben und entsprechend handeln - genauso wie alle Bürgerinnen und Bürger des Westbalkans, die sich leidenschaftlich für den EU-Beitritt einsetzen -, verdienen unsere Unterstützung.
Fünftens. Dem EU-Beitritt des Westbalkans steht es nicht entgegen, wenn wir dabei auch unsere nationalen Interessen im Blick haben - keine sozialen Fehlanreize, sichere Außengrenze und eine geschlossene EU-Außenpolitik.
Wenn wir diesen Weg weiterverfolgen, kann aus „To End a War“, wie ein Buchtitel des amerikanischen Diplomaten Richard Holbrooke lautet, schon bald „To Build Europe“ werden. Auch dadurch kann ein stabiler und langfristiger Frieden für den Westbalkan und Europa entstehen. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.
Vielen Dank.