Deutsch-chinesische Beziehungen aus der Mitte der Gesellschaft denken – Besseres Vertrauen bauen

Rede anlässlich der Jahrestagung der Allianz Deutscher China-Gesellschaften, Neuss, 14. Dezember 2025

Sehr geehrte Damen und Herren,

lieber Ludger Baten, lieber Andreas Werhahn,

es ist ein besonderer Moment, sich an einem Sonntagmorgen des dritten Advents mit den deutsch-chinesischen Beziehungen zu befassen. Gerade dieser Zeitpunkt macht deutlich: Dieses Thema ist kein Randthema für Expertengremien, sondern gehört in die Mitte unserer Gesellschaft.

Dass wir uns hierfür in der Neusser Bürgergesellschaft treffen, ist deshalb mehr als ein Zufall.

Dieser Ort – „Bürger“, wie wir sie in Neuss einfach nur nennen – steht seit jeher für gesellschaftliches Leben, für Austausch, für Zusammenhalt. Dass hier heute über China diskutiert wird, unterstreicht, wie sehr die deutsch-chinesischen Beziehungen eine gesamtgesellschaftliche Dimension haben – wirtschaftlich, politisch, kulturell.

Austausch als Grundlage tragfähiger Beziehungen

Vor wenigen Monaten hatte ich Gelegenheit, an einer Tagung deutscher und chinesischer Topmanager teilzunehmen. Das Besondere an dieser Zusammenkunft war der bewusste Versuch, zunächst die menschliche Ebene in den Mittelpunkt zu stellen – noch vor wirtschaftlichen oder politischen Fragen.

Eine Frage im Rahmen einer Meditationsübung, geleitet von einem deutschen Jesuiten, ist mir besonders in Erinnerung geblieben: „Can you hear the stillness? – Könnt ihr die Stille hören?“ Sie verweist nicht nur auf persönliche Reflexion, sondern auch auf politische Erfahrungen der vergangenen Jahre. Die Corona-Pandemie hat zu einer Phase geführt, in der diplomatische und gesellschaftliche Kontakte spürbar zurückgegangen sind. Umso wichtiger ist es seitdem, den Austausch wieder aktiver zu beleben. Dazu tragen Sie als Allianz Deutscher China- Gesellschaften in besonderer Weise bei.

Drei Grundprämissen deutscher China-Politik

Aus politischer Perspektive gelten für die deutsch-chinesischen Beziehungen zunächst drei Grundprämissen.

Erstens: Außenpolitik darf nicht innenpolitisch instrumentalisiert werden. Das war in vergangenen Jahren leider zu häufig der Fall und hat immer wieder vor allem auch die Beziehungen mit China betroffen. Die Außenpolitik muss aber aus sich selbst heraus gedacht und betrieben werden. Geschlossenes Auftreten mit klarer Sprache und ohne Alarmismus, wie zuletzt bei den Reisen des Bundesfinanz- und des Bundesaußenministers nach China, ist dafür eine zentrale Voraussetzung.

Zweitens: Gespräche müssen miteinander geführt werden, nicht übereinander. Diese Haltung wird auch von chinesischen Gesprächspartnern geschätzt. Das Miteinander von Gesprächen ist nicht Ausdruck falscher Zurückhaltung, sondern ermöglicht gerade erst die dringend notwendige Klarheit und Offenheit.

Drittens: Deutschland und Europa müssen sich ihrer eigenen Interessen bewusst sein und diese selbstbewusst vertreten. Interessenorientierung ist kein Widerspruch zu Dialog oder Kooperation – im Gegenteil, sie ist deren Voraussetzung.

Der Bundeskanzler hat hierfür drei Leitlinien deutscher Außenpolitik benannt: Frieden, Freiheit und Wohlstand. Mindestens zwei dieser drei Interessen – wahrscheinlich alle – sind eng mit den deutsch-chinesischen Beziehungen verknüpft.

Ein zentrales europäisches Sicherheitsinteresse ist derzeit der Krieg Russlands in der und gegen die Ukraine. Auch dieses Thema gehört immer wieder in den Dialog mit China. Gerade bei sensiblen Fragen gilt: Nur wer miteinander spricht, kann Erwartungen klar formulieren und Verantwortung einfordern. Gerade in dieser Frage tun wir dies bereits seit längerer Zeit und sehr deutlich.

Drei Folgerungen für die deutsch-chinesischen Beziehungen: Besseres Vertrauen bauen

Aus diesen Prämissen lassen sich drei zentrale Folgerungen ableiten, die sich in der Formel zusammenfassen lassen: Besseres Vertrauen bauen.

Erstens: Beide Länder bauen und exportieren: Autos, Maschinen vieles mehr. Deutschland und China werden dabei auch künftig im Wettbewerb stehen – insbesondere wirtschaftlich und wahrscheinlich mehr denn je. Dieser Wettbewerb ist legitim und kein Selbstzweck. Der für China in den deutschen und europäischen Strategien oft zitierte Dreiklang „Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale“ greift für sich zu kurz. Notwendig ist eine operative Trennung der Handlungsfelder.

Entscheidend ist dabei eine differenzierte Betrachtung: Es gibt Bereiche des Wettbewerbs, der dann auch fair und reziprok ausgestaltet sein muss; Bereiche, in denen es möglicherweise sinnvoll ist, den bestehenden Vorsprung der anderen Seite zu akzeptieren und für sich zu nutzen; und Bereiche klar definierter nationaler Sicherheitsinteressen. Darunter fällt auch die Frage der Diversifizierung unserer Handelsbeziehungen, sowohl im Im- als auch Export. Begriffe wie „Derisking“ stoßen auf chinesischer Seite auf Skepsis. Dort wird argumentiert: Wir sind kein Risiko. Verständnis besteht aber jedenfalls auch dort für Diversifizierung – nicht zuletzt, weil China selbst diese Strategie verfolgt. Stichwort: Xi Jinpings Strategie der zwei Wirtschaftskreisläufe – ein innerer und ein äußerer. Auch hier geht es letztlich um den Schutz nationaler Interessen. In diesem Wettbewerb werden wir bleiben – und wir sollten ihn selbstbewusst führen.

Und damit: Zweitens: Wir müssen selbst besser werden. Souveränität entsteht aus eigener Stärke. Deutschland und Europa müssen ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, ihre Innovationskraft und ihre Resilienz aus eigener Kraft stärken. Das ist nicht nur eine innenpolitische Frage – Gegenstand unserer aktuellen vielfältigen, unausweichlichen Reformdiskussionen, gerade im dritten Jahr einer Rezession in Deutschland – und die Kernfrage unseres Wohlstand. Das ist auch Voraussetzung für Diversifizierung und für Verhandlungen auf Augenhöhe in den deutsch- chinesischen Beziehungen. Eigene Schwächen lassen sich nicht durch politische Rhetorik kompensieren.

Drittens: Vertrauen ist unverzichtbar. Es entsteht durch Kontinuität, persönliche Beziehungen und verlässlichen Austausch. Natürlich gibt es chinesisches Handeln in Deutschland, das kritisch gesehen werden muss – Cyberfragen, Wirtschaftsspionage, sogenannte Polizeistationen und anderes. Für das Grundvertrauen in den Beziehungen ist das ein beständiges Risiko. Auch wo gewachsene Kontakte abrupt abbrechen, wird Vertrauen beeinträchtigt – und muss mühsam neu aufgebaut werden.

Gerade deshalb sind stabile gesellschaftliche Netzwerke von unschätzbarem Wert. Hier kommt den deutschen China-Gesellschaften eine besondere Bedeutung zu. Sie tragen den Dialog in die Gesellschaft hinein, fördern wirtschaftlichen, kulturellen und sprachlichen Austausch und schaffen belastbare persönliche Beziehungen. Dieser Beitrag ist nicht nur ergänzend zur Politik – er ist ihre Grundlage. Umso mehr in schwierigen Zeiten ist ein solcher Dialog Ausdruck einer bürgerlichen, verantwortungsbewussten Außenpolitik.

Die deutsch-chinesischen Beziehungen werden auch künftig anspruchsvoll bleiben. Umso wichtiger ist es, sie nüchtern, selbstbewusst und dialogorientiert zu gestalten – aus der Mitte der Gesellschaft heraus.

Ich danke Ihnen für Ihr Engagement, für Ihre Arbeit und für den heutigen Austausch und freue mich auf die weiteren Debatten zu den deutsch-chinesischen und europäisch-chinesischen Beziehungen.

Vielen Dank.



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