Laudatio zum Preis für gute Gesetzgebung 2024/2025 für das Projekt „Europäisches Wirtschaftsgesetzbuch“ der Vereinigung Henri Capitant
Diese Laudatio hat Carl-Philipp Sassenrath anlässlich der Verleihung des “Preises für gute Gesetzgebung” der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung e.V. am 10. November 2025 im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in Anwesenheit der Bundesministerin Dr. Hubig gehalten.
Europäisches Wirtschaftsgesetzbuch
L’Association Henri Capitant
Deutsche Gesellschaft für Gesetzgebung e.V.
Wenn, meine Damen und Herren, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung einen bittet, einen Redebeitrag zu halten, dann sollte man das trotz sitzungswochenvoller Kalender natürlich machen.
Wenn besagter Vorsitzender zugleich der stellvertretende Vorsitzende der eigenen Bundestagsfraktion für Rechts- und Innenpolitik und der Vorsitzende der eigenen Landesgruppe NRW ist, dann bräuchte man schon verdammt gute Gründe, um es nicht zu machen.
Und wenn besagter Vorsitzender schließlich auch noch der Chef im selben Parteibezirksverband ist, dann sitzt man tief in der Patsche und insofern kein Ausweg…
Und ganz im Ernst: Vielen Dank, es ist eine Ehre und eine Freude, dass ich zu Ihnen sprechen darf und dass ich jetzt gleich auch den ersten Preis offenbaren darf.
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Frau Bundesministerin Dr. Hubig,
Herr Vorsitzender, lieber Günther,
Frau Dr. Meister-Scheufflen,
liebe Preisträgerinnen und Preisträger,
liebe Mitglieder der Gesellschaft,
liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete,
verehrte Damen und Herren,
vor allem aber sehr geehrte Herren Professor Gruber, Dr. Leutner, Professor Teichmann,
und hiermit meine herzlichen Glückwünsche der Vereinigung Henri Capitant und Ihnen als Mitgliedern der Deutschen Gruppe der Association zum diesjährigen Preis für gute Gesetzgebung, zum ersten Preis für gute Gesetzgebung. Sie werden mit dem ersten Preis ausgezeichnet für Ihre herausragende Arbeit am Projekt eines Europäischen Wirtschaftsgesetzbuches.
Vielen Dank für Ihren Einsatz – für Ihren Einsatz in gleich dreifacher Hinsicht: rechtswissenschaftlich, gesetzgeberisch und europäisch.
Und es ist gerade diese europäische Dimension, die ich erstens herausheben möchte. Und bei der Gelegenheit möchte ich auch der Jury des Preises für gute Gesetzgebung danken, mit Frau Dr. Meister-Scheufflen an der Spitze. Ich finde es gerade in diesen Zeiten anti-europäischer Ressentiments allenthalben ein passendes Signal, dass also diese Deutsche Gesellschaft ein europäisches Projekt auszeichnet.
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Die Geschichte und die Zielrichtung dieses Projekts sind dabei schnell umrissen, und die meisten von Ihnen hier kennen diese Wegmarken.
2016 beginnt die Vereinigung die Arbeit am Entwurf eines Europäischen Wirtschaftsgesetzbuchs. Ziel des Projekts ist nach eigenen Angaben die bessere Lesbarkeit des bestehenden wirtschaftsrechtlichen acquis, die Vervollständigung der Kapitalmarktunion, bessere Rahmenbedingungen für grenzüberschreitendes unternehmerisches Handeln in Europa. Das findet schnell Anklang auf den höchsten politischen Ebenen.
März 2017: Die Europäische Kommission fordert in ihrem Weißbuch zur Zukunft Europas, dass eine Gruppe von Mitgliedstaaten ein gemeinsames Wirtschaftsgesetzbuch erarbeitet.
September 2017: Der französische Präsident Macron fragt in seiner Sorbonne-Rede eindringlich: „Warum sollten wir uns nicht vornehmen, bis 2024“ – ich füge da mal ein Ausrufezeichen hinzu – „unsere Märkte vollständig zu integrieren, indem wir dieselben Regeln auf unsere Unternehmen anwenden, vom Wirtschaftsrecht bis zum Insolvenzrecht?“
22. Januar 2018: Der Bundestag und die Assemblée Nationale beschließen, einen deutsch-französischen Wirtschaftsraum mit harmonisierten Regeln, insbesondere im Gesellschafts- und Insolvenzrecht, zu schaffen.
Und 2019: Dieses Ziel findet schließlich Eingang in den Vertrag von Aachen.
Im Februar 2020 setzt die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung eine Arbeitsgruppe für Wirtschafts- und Insolvenzrecht ein.
Soweit: Visionen sind leicht formuliert, Wünsche schnell platziert, Arbeitskreise schnell initiiert.
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Die Vereinigung belässt es aber nicht dabei.
Im März 2020 legt das internationale Autorenteam einen ersten vollständigen Entwurf vor, den sie dann europaweit mit Verbänden, Unternehmen und Bürgern diskutiert.
Das Werk fasst nicht nur bestehende Regeln übersichtlich zusammen im Sinne einer Kodifizierung, sondern schlägt auch neue europäische einheitliche Rechtsformen und Vertragsinstrumente vor. So enthält der Entwurf beispielsweise konkrete Regelungen für eine europäische GmbH, einen europäischen Kreditvertrag, europäische Wertpapiergeschäfte und sogar eine europäische Hypothek.
November 2020: Die Entwürfe der Vereinigung werden der Arbeitsgruppe der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung vorgelegt.
Die Vereinigung leistet also gesetzgeberische Kernarbeit. Mehr noch: Die Autorinnen und Autoren leisten echte Pionierarbeit.
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Daran schließt sich als zweiter Teil meiner Ausführung die Frage an: Was lange währt, wird endlich gut – ist die Wissenschaft der bessere Gesetzgeber? Wo bleibt eigentlich die Politik?
Dass das Projekt in die goldrichtige Richtung weist, darüber kann es keine zwei Meinungen geben.
Auch hier ein paar Wegmarken:
April 2024: Der Letta-Bericht empfiehlt einen europäischen Geschäftsrechtskodex zur Vollendung des Binnenmarkts.
September 2024: Der nächste, der Draghi-Bericht, kritisiert die Fragmentierung unternehmensbezogener Rechtsnormen und empfiehlt die einheitliche Regelung für Gründung, Insolvenz, Finanzierung und Investitionen. Und er bestätigt damit das Europäische Wirtschaftsgesetzbuch implizit, aber inhaltlich vollumfänglich.
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Es gibt also kein Erkenntnisdefizit.
In Zeiten wirtschaftlicher Schwäche und handelspolitischer Streitigkeiten braucht gerade der Binnenmarkt neue Impulse – und zwar die richtigen.
Kein Klein-Klein und damit zwangsläufig eine Verstrickung in überflüssiger Bürokratie, sondern eine Rückbesinnung auf das Wesentliche: den Abbau von Hürden im Binnenmarkt.
Das ist mehr als notwendig. Laut Internationalem Währungsfonds entsprechen die zahlreichen nichttarifären Hürden zwischen den einzelnen EU-Mitgliedstaaten, die nach wie vor den Handel innerhalb der EU selbst behindern, im Durchschnitt einem Zollsatz von sage und schreibe 44 Prozent. Die Hürden für den Handel mit Dienstleistungen entsprechen demnach sogar einem Zoll von 110 Prozent.
Oder positiv formuliert: Die Arbeitsproduktivität in der EU könnte innerhalb von sieben Jahren um etwa 7 Prozent gesteigert werden, wenn unsere internen Handelsbarrieren auf das Niveau der Vereinigten Staaten gesenkt würden.
Und gerade deshalb ist das heute geehrte Projekt so richtig, und wir sehen Schritte in die richtige Richtung:
Das Arbeitsprogramm 2026 der Europäischen Kommission weist das sogenannte 28. Regime, ein optionales europäisches Gesellschaftsrecht, ausdrücklich als Priorität aus. Dieses Regime öffnet einen europäischen Rechtsrahmen, den Unternehmen freiwillig wählen können, und ist Ausdruck der politischen Einsicht, dass ein neuer Rahmen für Wachstum und Einheit notwendig ist. Von großer Bedeutung ist dabei, dass dieser Rahmen allen Unternehmen offenstehen soll, nicht nur innovativen Start-ups.
Genau das greift eben das Projekt der Association Henri Capitant auf: ein Wirtschaftsrecht, das für jedes Unternehmen gelten kann, das im europäischen Binnenmarkt tätig sein will.
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Und es gibt – dank der Vereinigung und aller ihrer Projektteilnehmer, Mitarbeiterteams und ihrer Projektpartner, genannt seien auch etwa die Stiftung Mercator, die Stiftung für das kontinentale Recht oder der Verein zur Vereinheitlichung des Wirtschaftsrechts in Europa – nicht nur kein Erkenntnisdefizit, es gibt eben auch keinen Mangel an Handlungsoptionen.
Und deswegen erlauben Sie mir zum Schluss die Hoffnung, ja, den Wunsch zu formulieren, dass wir uns politisch die Pionierarbeit der heute geehrten Preisträger zum Vorbild nehmen.
Zum Vorbild nehmen für ein Europa der Pioniere, in dem wir uns nicht selbst bremsen, in dem wir nicht auf das letzte Glied der Kette warten, in dem wir vorangehen.
Für diese Inspiration und für Ihre Arbeit sei Ihnen gedankt.
Herzlichen Glückwunsch zum ersten Preis für gute Gesetzgebung, Vereinigung Henri Capitant, verehrte Herren Gruber, Leutner und Teichmann. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.