“Schwarzfahren” - Debatte im Deutschen Bundestag

Hier ist die gesamte Rede von Carl-Philipp Sassenrath als Video anzusehen.


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Statt uns gegenseitig mit moralischer Überheblichkeit zu überziehen, könnten wir versuchen, einfach bei den eigenen persönlichen Prinzipien zu bleiben und aus denen heraus zu debattieren. Deswegen zu Beginn, meine Damen und Herren, ein Geständnis: Auch ich habe schon gegen diesen Straftatbestand verstoßen - in grauer Vorzeit natürlich -, den wir alle „Schwarzfahren“ nennen. Ich vermute, dem einen oder anderen in diesem Hohen Hause oder auf den Zuschauerrängen könnte es einmal ähnlich gegangen sein; denn wir hier unten sind schließlich nicht die besseren oder schlechteren Menschen. Aber gerade weil ich um mein eigenes Verhalten weiß, gerade weil in der Hektik des Alltags eben allzu schnell mal kein Fahrschein gelöst wird, dies vergessen wird, gerade weil diese Straftat häufig, ja, zu häufig passiert, sollte der Grundsatz gelten: Wer ohne Fahrschein fährt, macht sich strafbar. „Generalprävention“ nennt man das.

Es geht hier um etwas Grundsätzliches. Es geht um das Verhältnis zwischen dem Staat, also der Allgemeinheit, und seinen Bürgerinnen und Bürgern. Es geht um die Frage von Vertrauen, Kontrolle und Konsequenzen.

Wenn der öffentliche Verkehr ein Gut der Allgemeinheit ist - ein Gut, in das wir übrigens gerade massiv investieren - und der öffentliche Verkehr mittelfristig nur erhalten und gestärkt werden kann, wenn die Nutzerinnen und Nutzer ihn finanzieren, also durch den täglichen Gebrauch, wenn es beim öffentlichen Verkehr um einen Bereich des Lebens geht, der nun wirklich alltäglich ist und in dem die grundsätzliche Frage des Verhältnisses von Staat und Bürger gelebter Alltag ist, dann darf die Allgemeinheit die begründete Erwartung gegenüber jedem Einzelnen haben: Wer mitfährt, der zahlt. - Echte Solidarität bedeutet, dass jeder seinen Teil beiträgt, auch im Nahverkehr. Daher muss gelten: Wer Steuern nicht zahlt, wer öffentliches Eigentum beschädigt und wer eben …

Vizepräsident Bodo Ramelow: Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestatten?

Carl-Philipp Sassenrath (CDU/CSU): Ja.

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Herr Kollege Sassenrath, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Da Sie gerade davon gesprochen haben, dass alle zur Finanzierung öffentlicher Güter beitragen und alle in dieser Hinsicht gleich behandelt werden müssen, was ich ausdrücklich teile, möchte ich Sie auf Folgendes hinweisen: Wenn Sie zum Beispiel hier in Berlin Ihr Auto abstellen, ohne einen Parkschein zu lösen, ohne die Parkgebühr zu zahlen, dann zahlen Sie je nach Situation zwischen 20 und 40 Euro - und das war es. Sie berühren keinen Tatbestand im Strafrecht. Es gibt eine eklatante Ungleichbehandlung von Nutzerinnen und Nutzern des öffentlichen Personennahverkehrs und Nutzerinnen und Nutzern der öffentlichen Straßen, die wir ebenfalls alle gemeinsam finanzieren. Habe ich Sie richtig verstanden, dass von der CDU/CSU-Fraktion bald die Initiative ausgehen wird - wenn Sie § 265a StGB nicht streichen wollen, was wir als Lösung bevorzugen -, die Strafbarkeit des § 265a StGB auszuweiten auf all diejenigen, die mit dem Auto ohne Parkschein parken? Oder wie darf ich Ihren Appell für die Gleichbehandlung aller verstehen?

Carl-Philipp Sassenrath:

Vielen Dank für die Frage, Herr Kollege. Ich glaube, es gibt einen ganz praktischen Unterschied: Wenn wir im öffentlichen Bereich ohne Ticket das Auto parken, dann ist das durch Kontrolleure relativ leicht überprüfbar; der Ordnungswidrigkeitentatbestand kann leicht umgesetzt wird.

Ich glaube, es geht um ein grundsätzlich unterschiedliches Verständnis. Mein Verständnis ist: Ich will keinen Kontrollstaat errichten. Ich möchte nicht, dass wir überall an den Eingängen zu öffentlichen Verkehrsmitteln die Kontrollen ausweiten müssen, sondern ich möchte, dass wir Vertrauen haben können, dass wir uns darauf verlassen können, dass gezahlt wird. Wenn nicht gezahlt wird, dann hat das eben Konsequenzen. Das ist ein ganz anderes staatliches Verständnis.

Wenn vorgetragen wird, es gehe doch nur um ein Bagatelldelikt, das ohnehin häufig begangen werde, dann sage ich: „Weil es sowieso häufig gebrochen wird“ darf nie die Argumentation in einem Rechtsstaat sein. Das wäre eine Kapitulation des Staates vor dem geltenden Recht und vor einem Rechtsbruch.

Wenn nun argumentiert wird, eine Strafbarkeit sei nicht gerechtfertigt, weil mit dem Schwarzfahren in der Regel keine Überwindung besonderer Schutzvorrichtungen verbunden sei, so kann ich nur sagen: Das ist rechtspolitisch für mich gerade kein Argument gegen die Strafbarkeit, sondern eines dafür.

Wir können hier über die Frage der Strafbarkeit miteinander diskutieren und dabei auch unterschiedliche Meinungen aushalten; aber dann sollten wir ehrlich zueinander sein und sehen, wo der eigentliche Unterschied ist: Wir haben ein ganz unterschiedliches Verständnis des Verhältnisses von Staat und Bürgerinnen und Bürgern und von Rechten und Pflichten.

Vielen Dank.



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